
Barfußlaufen bei Achillessehnen-Tendinopathie: Chance oder Risiko?
In unserem Blogbeitrag vom 17. Januar haben wir bereits über das Thema Achillessehnen-Tendinopathie (AT) bei Läuferinnen und Läufern berichtet. Die Betroffenen suchen oft nach Wegen, um die Beschwerden zu lindern, die Sehne nachhaltig zu stärken. Aktive und nicht Betroffene wiederum machen sich Gedanken über präventive Trainingsmethoden. Ein viel diskutierter Ansatz ist das Barfußlaufen. Befürworter argumentieren, dass es biomechanische Vorteile bietet, die mit etablierten physiotherapeutischen Methoden wie exzentrischem Training vergleichbar sind. Aber kann Barfußlaufen wirklich helfen, oder birgt es eher Risiken? Dieser Beitrag hat die Ziele, die theoretischen Zusammenhänge zu beleuchten und gibt praxisnahe Empfehlungen.
Die Achillessehne und ihre Belastung
Zunächst eine kurze Wiederholung zur Achillessehne. Sie ist die stärkste Sehne des Körpers und verbindet die Ferse mit der Wadenmuskulatur. Durch sie können wir zum Beispiel schnell Sprinten und kraftvoll Springen. Wollen wir beim Laufen zu schnell zu viel, kann es passieren, dass die Achillessehne überlastet. Eine Achillessehnen-Tendinopathie kann darauf folgen. Sie entsteht oft durch wiederholte Mikroverletzungen, die nicht ausreichend heilen. Symptome sind Schmerzen, Schwellungen und eine verminderte Belastbarkeit. Die physiotherapeutische Behandlung zielt darauf ab die Sehne durch ein angepasstes Belastungsmanagement und individuelle Übungen zu stärken, ohne sie weiter zu schädigen.
Langfristig unbehandelte AT kann zu einer verminderten mechanischen Belastbarkeit der Sehne führen, wodurch das Risiko für Sehnenrupturen steigt. Teils passen Betroffene ihre Bewegungsmuster an die Schmerzen an, um sie zu vermeiden. Diese Anpassung wird auch als Schonhaltung bezeichnet.
Barfußlaufen: Was steckt dahinter?
Barfußlaufen verändert die Art, wie der Fuß aufsetzt. Während viele Läufer mit Schuhen über die Ferse abrollen fördert das Laufen ohne Schuhe eher den Vorfuß- oder Mittelfußlauf. In der Theorie hat dies mehrere biomechanische Konsequenzen:
- Geringere Aufprallkräfte: Der direkte Bodenkontakt ermöglicht eine bessere Stoßdämpfung durch die Muskulatur.
- Veränderte Achillessehnenbelastung: Studien zeigen, dass Barfußlaufen die Sehne ähnlich belastet wie exzentrisches Training – ein etablierter Therapieansatz bei AT.
- Anpassung der Laufmechanik: Durch eine veränderte Kraftverteilung kann möglicherweise das Risiko für Fehlbelastungen verringert werden.
Wenn Sie mit dem Gedanken spielen Barfußlaufen auszuprobieren, ist es nicht notwendig komplett auf das Tragen von Laufschuhen zu verzichten. Vielmehr kann es als Übung in einen umfassenden Therapieplan integriert werden. Beispielsweise könnte eine langsame Steigerung der Barfußlauf-Dauer kombiniert mit physiotherapeutischen Übungen den Heilungsprozess unterstützen.
Welche Vorteile könnte Barfußlaufen bieten?
- Verbesserte Sehnenanpassung
Die Belastung der Achillessehne durch Barfußlaufen ähnelt der durch exzentrisches Training. Dies könnte eine positive Anpassung der Sehne fördern und langfristig die Belastbarkeit erhöhen. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass gezieltes Barfußlaufen die Kollagenproduktion der Sehne unterstützen kann, wodurch die strukturelle Integrität verbessert wird.
- Natürlichere Biomechanik
Studien zeigen, dass Barfußläufer eine biomechanisch günstigere Lauftechnik entwickeln, die eine gleichmäßigere Belastung der Sehne ermöglicht. Dies könnte dazu beitragen, Überlastungsspitzen zu reduzieren. Besonders interessant ist, dass die Aktivierung der Fußmuskulatur durch Barfußlaufen intensiver erfolgt, was zu einer besseren Stabilität und Kontrolle beim Laufen führen kann.
- Reduzierte Bremskräfte
Schuhe mit stark gedämpften Sohlen können zu einer erhöhten Bremskraft beim Bodenkontakt, was zusätzliche Belastungen auf die Sehne ausüben kann. Barfußläufer setzen den Fuß vorsichtiger auf, was diesen Effekt reduziert. Eine geringere Bremskraft bedeutet auch, dass weniger Energie in den unteren Extremitäten verloren geht, was zu einer effizienteren Laufökonomie führt.
Welche Risiken birgt Barfußlaufen?
- Überlastung durch plötzlichen Wechsel
Ein abrupter Wechsel zum Barfußlaufen kann problematisch sein. Die Muskulatur und Sehnenstrukturen benötigen Zeit, um sich an die neue Belastung anzupassen. Wer ohne Vorbereitung wechselt, riskiert eine Überlastung. Empfehlenswert ist eine schrittweise Integration von Barfußlaufen in das Training, beginnend mit kurzen Strecken auf weichem Untergrund.
- Erhöhte Belastung bei älteren Patienten
Ältere Läufer oder Menschen mit bereits geschwächter Sehnenstruktur könnten stärker auf die veränderten Belastungen reagieren. Hier ist besondere Vorsicht geboten. Eine ärztliche oder physiotherapeutische Begleitung kann helfen, den richtigen Umfang und die Intensität des Barfußtrainings festzulegen.
- Lauftechnik
Die Bedeutung der Lauftechnik wird immer wieder heiß diskutiert. Kann sie helfen, Verletzungen zu vermeiden, oder ist sie nur eine individuelle Angelegenheit? Die Forschung liefert dazu keine eindeutige Antwort. Einige Studien zeigen, dass eine veränderte Lauftechnik die Achillessehne entlasten könnte, während andere darauf hinweisen, dass die natürliche Variabilität so groß ist, dass es keine allgemeingültige ‚richtige‘ Technik gibt. Statt sich zwanghaft an ein bestimmtes Muster anzupassen, ist es sinnvoller, auf eine ökonomische, für den eigenen Körper angenehme Laufweise zu achten. Wer Beschwerden hat oder sich unsicher fühlt, kann von einer professionellen Laufanalyse profitieren – nicht als starre Vorgabe, sondern als Möglichkeit, individuelle Anpassungen zu finden.
Bei den vorgestellten Theorien, Vorteilen und Risiken ist es wichtig zu berücksichtigen, dass die Studienlage gemischt ist. Das heißt, es gibt Studien, die die biomechanischen Theorien, diskutierten Vorteilen und Risiken unterstützen, während es ebenso Studien gibt, die keine oder wenig aussagekräftige Zusammenhänge nachweisen konnten.
Praktische Tipps zur sicheren Integration von Barfußlaufen
- Langsame Anpassung: Beginnen Sie mit kurzen Barfuß-Einheiten auf weichen Untergründen wie Gras oder Sand.
- Techniktraining: Achten Sie auf eine sanfte Landung auf dem Vor- oder Mittelfuß, um die Bremskräfte zu reduzieren.
- Kräftigungsübungen: Ergänzen Sie Ihr Training mit Übungen für die Fuß- und Wadenmuskulatur, um die Stabilität zu verbessern.
- Schmerzkontrolle: Treten Schmerzen auf, reduzieren Sie die Barfußlauf-Dauer oder legen Sie eine Pause ein.
Fazit: Muss es immer Barfußlaufen sein?
Barfußlaufen kann eine spannende Ergänzung in der Behandlung von AT sein – wenn sie ein paar Dinge in der praktischen Umsetzung beachten. Aber: Es ist kein Muss. Wer mit seinem aktuellen Laufstil beschwerdefrei ist, hat keinen Grund, etwas zu ändern. Nach dem Motto: ‚Never change a winning team!‘ Läufer, die gut mit Schuhen zurechtkommen, müssen nicht auf Barfußlaufen umsteigen, denn es gibt viele Alternativen, um die Achillessehne zu stärken, zum Beispiel exzentrisches Training oder gezielte Kräftigungsübungen.
Die Studienlage zeigt, dass Verletzungen und ihre Prävention viel komplexer sind, als es einfache Empfehlungen nahelegen. Barfußlaufen kann positive Effekte haben, aber es ist kein Wundermittel. Wer diesen Ansatz ausprobieren möchte, sollte sich beraten lassen und die eigenen Symptome genau beobachten. Eine Begleitung durch einen Sportmediziner oder Physiotherapeuten kann helfen, den optimalen Nutzen aus dem Barfußlaufen zu ziehen.
Für die besonders Interessierten:
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Prudêncio, D.A., Maffulli, N., Migliorini, F., et al. (2023). Eccentric exercise is more effective than other exercises in the treatment of mid-portion Achilles tendinopathy: systematic review and meta-analysis. BMC Sports Science, Medicine and Rehabilitation, 15, 9. https://doi.org/10.1186/s13102-023-00618-2
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